Mein Retro-Sommer in der Lausitz - ein romantischer Roadtrip in die "gute alte Zeit"

Ich hab soooo Sehnsucht nach Sommer! Nach 30 Grad und Barfuss im Gras laufen. Nach Nachmittagen auf der Hollywoodschaukel und den riesigen weißen Wolkenbergen, die träge am Himmel dahinziehen.... und ganz ehrlich, eigentlich auch nach "der guten alten Zeit".... Diese kann ganz weit weg liegen, oder auch gleich vor der Haustür, so wie meine Sommerferien 2021, die sich irgendwie wie Sommerfrische 1931 anfühlten. Nicht das ich diese damals schon erlebt hätte 😜 Aber kommt doch einfach mit, in meine Sommerfrische á la 1931, als alles noch irgendwie langsamer, gemütlicher und scheinbar einfach war....

Sommerfrische á la 1931 - ein Sommer zwischen "Nesthäkchen" und "Hanni und Nanni" (nur ohne Pferde...)
BMW Dixi 3/15 aif einer Alleenstraße

Aktuell erscheint wohl vielen von uns die Gegenwart und vielleicht auch die Zukunft nicht mehr ganz so rosig. Die Tage von grenzenlosem Optimismus und der freudigen Neugierde auf das was da noch kommt scheinen gebremst, wenn nicht gleich vorbei: Zwei Jahre Corona und jetzt auch noch Krieg in Europa und ein banges Abwarten, wie sich die Dinge entwickeln, lenkt unseren Blick immer öfter zurück in (vermeintlich) bessere Zeiten.

BMW Dixi 3/15 auf einer Landstraße mit Mohnfeld

War damals wirklich alles besser? Vermutlich nicht, aber wir fühlen uns in allem  Historischem, Antikem und Retro-gewandtem neuerdings so gut! Seien es die 90s die in der Mode mit aller Macht zurückkommen, in der nicht abebbenden Scandi-Interior-Welle oder in TV-Serien und -Shows, die aus der Versenkung auf die Bildschirme zurückkehren, oder uns gleich in brandneu produzierte Welten wie aus "The Crown" oder "Downton Abbey" entführen.

Kräuterstrauß mit Bauernvase im Küchenfenster mit Aussicht
Blütenranke vor Stallungen
 Und was sage ich?! Sommerferien in 2021 - zu Besuch in Ur-Omas Jugend
Irgendwie war mein letzter Sommer auf einmal auch wie aus der Zeit gefallen, ich fühlte mich plötzlich in die Jugendzeit meiner Ur-Großmutter gebeamt - ganz unverhofft und das kam so: Eigentlich war ich im Juli zu Besuch zu Hause bei meiner Familie in der Niederlausitz, also in Südbrandenburg, fast genau mittig zwischen Berlin und Dresden. Hier, wo die Landschaft zwischen zwei Extremen schwankt - Braunkohlerevier und märchenhaftem Spreewald - hier bin ich geboren.

Wolken spiegeln sich im Fenster eines alten Klinkerhauses
roter Mohn blüht unter blauem HimmelWeinranken an Stallungen

Die Tage waren herrlich warm, die weißen Wolkenberge die träge am Hochsommer-Himmel dahinzogen so riesig groß, wie sie nur das flache Land der Lausitz formen kann, und die Bandenburgs Allen schienen endlos... Und ich mitten drin in diesem Bilderbuch- Sommer, auf direktem Wege zurück nach 1931, als ich mit meinem Vater und seinem BMW aus eben diesem Baujahr durch die sommerliche Idylle gondelte. Wenn die Reisegeschwindigkeit bei maximal 60 km/h liegt, vergeht die Zeit offenbar so langsam, das man meint sie liefe rückwärts. Was natürlich auch an der Umgebung liegen könnte...

BMW 3/15 Motorhaube
Weizenfeld mit rotem Mohn in der LausitzTacho eines BMW 3/15
Wir schnurrten mit 15PS einfach drauflos - Richtung.....??? Egal! Einfach der Allee nach. Durch Dörfer die hier hinten Schmogrow, Bhylegure oder Pieskow heißen, die wie Babben mitten im endlosen Kiefernwald liegen und von roten, goldenen oder hellblauen Feldern umgeben sind und durch die die berühmten brandenburger Alleen ins endlose Sommerblau führen. Vorbei an Weizenfeldern die so rot vom Mohn sind, das man nicht auf Anhieb sagen kann, welche Pflanze hier eigentlich angebaut wird und welche nur Unkraut ist. Kopfsteinpflaster führen uns durch bildschöne Städtchen, die schon mal ganz groß in Hollywood rauskamen, als hier vielfach für eine Staffel "Homeland" gedreht wurde. Aufregung gabs deswegen bei den Einwohnern natürlich nicht - Lausitzer sind schwer aus der Reserve zu locken und wegen "...so ner Herde Hollywood-Fuzzies macht hier eh´ keener ´n Offstand, ey!" 😎😋

BMW Dixi 3/15 auf einer Allee
barocke Feldsteinkirche in der Lausitz

Aber zurück ins reale Leben. Und das heißt hier oft noch Landwirtschaft, allerdings in XXL, denn die Felder werden meist gemeinschaftlich in LPGs bewirtschaftet. Die Bauerngehöfte dagegen sind im Süden Brandburgs traditionell eher klein, die Lausitz ist ja auch ein karges Pflaster mit seinen Sandböden. Dafür perfekt für richtig guten Spargel! Flache verklinkerte oder verputze Eingeschosser mit großem Torhaus prägen das Bild der Dörfchen, mit einer meisst recht schmucklosen Kirche aus Feldstein. In so einer Feldsteinkirche wurde ich konfirmiert und im dazugehörigen Pfarrhaus im preußisch-klassizistischen Stil hatte ich Konfirmandenunterricht. An dieses Haus und den Pastor habe ich in meiner Erinnerung eine Art "Sammelbildchen" als prägendes Bild im Kopf: Wie wir im großen Zimmer mit weit geöffneten Fenstern sitzen, den Blick über den kleinen Garten und die anschließenden Felder bis zum Nachbarort schweifen, die Gardinen wehen leicht im Wind und es riecht, wie es nur im Pfarrhaus roch. Einfach behaglich und friedlich.... Und der Pastor, der uns Kinder immer wieder vergeblich darauf hinwies das er ein Pfarrer sei und nur katholische Geistliche Pastoren genannt werden, übersah dabei aber völlig das diese Bezeichnung für uns einfach handlicher war, denn "Pasta´ kommt" schreit sich einfach besser über den Dorfanger beim Versteckspielen als "Pafferer kommt"...

historisches Bauernhaus in der Lausitz

Unsere Ausfahrt führt uns weiter durch die Sommerlandschaft. Vorbei an Sonnenblumenfeldern und durch schattige Kastanien-Alleen, bis wir kurz halten müssen, weil unser fahrbarer Untersatz mal etwas Aufmerksamkeit braucht. Kaum kommen wir in der Bushaltestelle zum stehen und steigen aus, hält auch schon das erste Auto neben uns und sein Fahrer erkundigt sich ob er helfen kann. Das passiert uns mit dem alten Schnauferl immer wieder! Und da sieht man´s: Wir Brandenburger sind vielleicht ein bisschen rau, vielleicht manchmal maulfaul und hin und wieder auch mal schnodderig - aber herzlich und hilfsbereit! 

BMW Dixi vor Feldsteinmauer
 Feldsteinkirche in der Lausitz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aber unserem Dixi fehlt nix und wir rollen weiter durch den Bilderbuchsommer Richtung Norden. Anders als viele Touristen zieht es uns heute nämlich nicht direkt in den Spreewald, zu dessen verwunschenen Fließen und der Stille des Hochwaldes oder dem quirligen Spreewalddorf Lehde das jeder Berlin-Tourist kennen muß. Wir wollen ganz wo anders hin! Nämlich zurück in die Vergangenheit, in die Kindheit von Papa und seiner Zwillingsschwester Ingrid, die die Sommerferien oft bei Tante Christina und ihrer Familie in einer Wassermühle mitten im Wald verbrachten. Genau dahin waren wir nun unterwegs. Nach Sagritz, in die Kanow-Mühle, eine uralte Mühle in der noch heute Leinöl gepresst wird.

Wir erreichen Luckau - ein kleines Städtchen mit vielleicht 10.000 Einwohnern und einem zauberhaften Stadtkern, wie aus dem preußischen Jahrhundertwende-Bilderbuch! Bunte schmucke Häuser säumen die Kopfsteinpflaster-Straßen. Mitten hindurch fließt ein Flüsschen was später in die Spree mündet. Unser kleiner BMW passt so perfekt in diese idyllische Szenerie, das mancher Anwohner sicher dachte Hollywood wäre schon wieder im Städtchen....

Ja richtig gehört: Hollywood! Wie eingangs schon erwähnt ist meine kleine Heimat- Provinz ein Film-Hotspot. "Homeland" in Luckau, "Enemy at the Gates" im Tagebau Welzow, oder Tarantinos "Inglorious Basterds" sowie "Grand Budapest Hotel" in Görlitz und natürlich "Der Vorleser" - immer wieder Luckau! Wer einmal hier war, weiß auch genau warum: Gründerzeit in Reinkultur! Aber wir können uns diesmal nicht mit XXL-Sonnenbrille als Casting Spione betätigen, wir müssen ja in der Mühle noch frisches Leinöl abholen!

Wie wir so weiter durch die Landschaft schnurren, treffen wir Pferdegespanne - die Lausitz ist Pferdeverrückt, nahezu jedes Dorf hat einen Reit- und Fahrverein. Auch so ein "Sammelbildchen" was mich mit der Heimat verbindet: Sommer und Reitturniere gehören zusammen! Nicht unbedingt für mich persönlich, die Viecher haben schließlich weder Kupplung noch Handbremse, aber für die Lausitz definitiv. Koppel und Ställe passieren wir im Wechsel mit Gehöften, Dörfchen und manchmal auch Gutshöfen mit Schlösschen - wie in Sagritz!


Kaum an der alten Feldsteinkirche abgebogen, wird die Straße auch immer schmaler. Am Gutshof vorbei, um die Kurve und raus aus dem kleinen Örtchen, Richtung Wald! Bis vor ein paar Jahren war das ab hier noch Sandweg, mittlerweile gibt es eine asphaltierte Straße. Im kühlen Schatten des Waldes sieht man dann auf einmal die Einfahrt zur Mühle. Ich weiß noch wie wir auch als Kinder hier zu Geburtstagen mit den Eltern und vor allem mit Oma herkamen. Zu Tante Christina und Onkel Jörg in die Mühle: Wir durften in der Mühle herumstromern und bekamen gezeigt wie das alles seit hundert Jahren so funktioniert. Und nebenan die Stallungen, die später zu Hofladen, Cafe und Ausflugsziel wurden. Vor allem am Mühlentag konnte man von Besuchern hier kaum treten! 

historische Kanow Mühle in der Lausitz
Blumen vor historischem Gebäude in der Lausitz
historische Kanow Mühle in der Lausitz
kleines Wehr in historischer Mühlenanlage

Heute ist noch alles wie immer. Bis auf den Neubau der Kanow Mühle , in dem nun mit moderner Technik Öle gepresst werden, die im Hofladen, auf Märkten und natürlich auch online verkauft werden. Besonders das Leinöl gehört zur Lausitz wie der Spreewald selbst, denn wir wurden alle groß mit traditionellen Gerichten wie Quark mit Leinöl und Pellkartoffeln! Nur bei meines Vaters Leibspeise Brötchen mit Leinöl und Zucker obendrauf scheiden sich die Geister, da hilft auch keine Geburtsurkunde! 

Unser rotes Altertümchen macht sich natürlich perfekt in der romantischen Kulisse und wird auch gleich (mal wieder) zum Fotomodell für Besucher. Aber der Heimweg ist weit für so einen betagten Verkehrsteilnehmer und mit ganzen 15 PS muss man für die Rückreise ordentlich Zeit einplanen, deshalb müssen wir uns auch bald wieder von Tante Christina verabschieden. 

BMW Oldtimer vor alten Stallungen

historische Mühle Ansicht
 Mit dem Leinöl im Kännchen geht es zurück. Vorbei an Pferden auf der Koppel, an Ackerbürgerstädtchen die im Kino groß rauskommen und an den riesigen Sonnenblumenfeldern! Natürlich nicht ohne anzuhalten und ein paar Sommerbotschafter mit nach Hause zu nehmen, auch wenn das mit einem Sprint über die zum Glück wenig befahrene Bundesstraße einher geht. Die Lausitzer Alleen führen uns zurück nach Hause, vorbei an Anekdoten aus dem Familien-Album, an Geheimnissen und Gerüchten und Erinnerungen an die Gute Alte Zeit!altes Bauernhaus in der Lausitz

Oldtimer in einer Allee

Lausitz, du fehlst mir, deine Menschen, Geschichten, Alleen und Wolkenberge - vor allem im Sommer! Ein Sommer wie aus dem Bilderbuch anno 1931....